Wie es wirklich ist, mit einer Ballerina zu tanzen
wie es wirklich ist, mit einer Ballerina zu tanzen
Anlässlich des Tango Team Talks mit dem Thema „wir-brauchen-mehr-milongueras-und-weniger-ballerinas“ finde ich mich dazu aufgerufen, auch meinen Teil zu der Diskussion beizutragen. Ich kann an den Abend nicht teilnehmen. Also schreibe ich… ist vielleicht auch nicht schlecht.
Ich tanze seit einem Jahr mehrmals die Woche mit einer Frau, die eine große Karriere als Ballerina hatte. Sie fing mit 5 Jahren bei professionellen Tänzern an, besuchte mit 9 Jahren die Staatliche Ballett Schule und hatte dort eine 9-Jährige Ausbildung zur Ballerina. Danach arbeitete Sie im klassischen Ballett und wurde zu einer der herausragenden Solo-Ballerina. Später wurde Sie von der komischen Oper in Berlin abgeworben und wechselte von Bulgarien in die DDR. Ihre Ballerinalaufbahn beendete Sie mit 35 Jahren in der BRD, dem normalen „Rentenalter“ einer Ballerina. Nach ihrer Ballettlaufbahn wurde Sie Physiotherapeutin.
Meine tänzerischen Erfahrungen vor dem Tango waren vor allem wildes, ausdrucksstarkes Drauflostanzen. Würde es Preise für sowas geben, hätte ich bestimmt welche gewonnen. Man kannte mich deswegen und ich war gut im Training. Ich tanze nun seit einigen Jahren intensiv Tango.
Was war denn für mich vorher Ballett? Vor meinem Kontakt mit meiner Tanzpartnerin „affektiertes Rumgehüpfe“, danach, nach der Beschäftigung damit und über die Einblicke, die ich bekomme habe. Künstlerische Darstellung, Leistungssport, gewürzt mit einer Prise Intrige.
Zu der Geschichte mit meiner Ballerina und wie sich die diese zwei sehr unterschiedlichen Ausgangspunkte vereinbaren lassen.
Ich suchte nach einer Tanzpartnerin, mit der ich bisschen in die Tiefe des Tangotanzes gehen konnte. Nachdem sich eine andere Möglichkeit zerschlagen hatte, war ich mal wieder auf der Suche. Sie drehte relativ unbeachtet von anderen Führenden Ihre Runden. Gute Haltung, nicht so gute Verbindung, aber aufmerksam und freundlich, fast alles, was ich brauchte. Wir versuchten es und ich stellte fest, das mit der Verbindung lässt sich verbessern. Schnell tanzten wir mehrmals die Woche. Sie hatte Ihre Freude an meiner Musikalität und meinem kreativen Stiel und ich freute mich, dass sie das ausführte, was ich vorgab.
Darüber hinaus freute es mich das Sie genau so lernbegierig war wie ich. Sie tanzte vorher ein Jahr unregelmäßig, weil Ihr der Tanzpartner fehlte. Jetzt wurde es öfter. 3 bis 4mal die Woche die Woche machten wir irgendwas mit Tango. Und ich kenne keine die solange in hochhackigen Schuhen über die Tanzfläche läuft. Sie kennt Disziplin beim Üben von Ihrer Tätigkeit beim Ballett. Bei mit es eher die Unersättlichkeit und Hang zur Übertreibung, das mich nicht aufhören lässt.
Schnell merkte ich, dass Sie ein außergewöhnlich schnelles Auge hat, wenn es darum geht welches Bein zu welcher Zeit was machte. Sie ist darin besser wie ich, obwohl ich viel länger tanze. Köperspannung und mit den Armen und Beinen bewusst umzugehen stellte überhaupt kein Problem da. Hier kann Sie voll auf Ihre Erfahrung aus dem Ballett zurückgreifen. Wir machten beide schnell Fortschritte.
Dann kam Corona und aus der Tanzgemeinschaft wurde eine häusliche Gemeinschaft. Wir übten weiter. Jetzt nahmen wir Tangovideos, und versuchten es nach zu tanzen. Oft gelang dies… was den Ablauf der Flussstellungen betrifft. Ich wusste allerdings, es gibt da noch Mehr, teilweise mit Tanzpartnern, die vom äußeren Anschein viel schlechter tanzten. Ich versuchte es in den gemeinsamen Übungsstunden Ihr zu vermitteln. Hier ging es um die Verbindung und den anderen spüren und sich mitzuteilen. Dabei verhaspelte ich mich allerdings sehr oft in Wiedersprüche. Ich erzählte aus der Sicht von einer professionellen Ballerina und Physiotherapeutin oft Sachen, die nicht viel Sinn ergaben. Wir streiteten immer öfter beim Tango, was unseren Tanz belastete. Sie meinte sie mache es richtig, konnte keine Fehler entdecken. Ich von meiner Seite konnte nur wage schwammige Sachen sagen.
Irgendwann hatte ich die segenreiche Einsicht es lieber zu lassen und lieber mit Ihr zu tanzen, als unkonkret rumzumeckern. Auch so wurde die Verbindung besser. Neben der Verbindung waren auch Verzierungen ein Problem. Ich liebe eine aktive folgende Rolle, Sie ist mir sehr wichtig, tanze auch oft selbst in dieser. Wenn meine Tanzpartnerin eine Verzeihung (für mich kein wirklich gutes Wort dafür) ausführte, hatte mich ihre starke Präsenz allerdings lahmgelegt und aus dem Tanzfluss katapultiert. Ich kann nicht ohne weiteres mithalten mit 30 Jahren Bühne, auch wenn ich 14 cm größer und 30 kg schwerer bin. Ich konnte nur dastehen, mich wie eine Haltestange fühlen und abwarten. Oft wurde uns aber gesagt, es sieht gut aus was Sie macht. Ich kann es nicht beurteilen, weil ich zur optischen Beurteilung zu nah stand. Dabei wollte und will ich das Sie den Tanz mitgestaltet.
Im Augenblick machen wir sehr gute Fortschritte, insbesondere was die Verbindung an geht. Einerseits wissen wir viel mehr was die körperlichen Voraussetzungen für eine gute Verbindung sind, wie z.B. Spannung/Entspannung, Stellung der Hüfte, usw.., . Wenn Sie dort konkrete Hinweise bekommt, kann Sie sie auch umsetzen. Diese konkreten Hinweise und das Wissen was ein gutes Tangogefühl ist helfen wir wiederum die Verbindung von meiner Seite viel besser umsetzen. So spürt Sie wiederum deutlicher was eine gute Verbindung ist. Mit der besseren Verbindung machen übrigens auch Ihre Verzierungen viel mehr Sinn für mich und ich kann Sie in meinen Tanz integrieren.
Durch Ihre Erfahrung auf dem Gebiet Körperhaltung bessert sich meine äußere Eleganz. Durch die bessere Körperhaltung, auch von Armen und Beinen kann ich besser Ihr mitteilen was ich möchte und die Harmonie in der Bewegung der beiden Körper aufrechterhalten, was ein besseres Tangogefühl ergibt. Ich lerne hier von Ihr. Ich spüre geradezu, wie Sie sich mit einer besseren Körperhaltung von mir, sie sich viel wohler fühlt und sich harmonischer in den Tanz einbringen kann, gerade auch was die gemeinsame Verbindung an geht.
Ein Fortschritt in der Eleganz und korrekten Ausführung, auf meiner Seite macht es Ihr einfacher gut zu tanzen und sich auf den Fluss des Tanzes einzulassen worauf das Tangogefühl mehr meinen eigenen Bedürfnissen entspricht und Sie wieder korrekter Führen kann, ein positiver Kreislauf.
Ich gehe jetzt hier mal nicht auf weitere konkrete Unterschiede zwischen Tango und Ballett ein, die sehr interessant sind aber hier den Rahmen sprengen würden. Vielleicht schreibe ich darüber mal einen extra Text.
Ich weiß, dass es in den verlinkten Artikel nicht darum geht ob Ballerinas Tango tanzen können. Ein Artikel darüber ob Ballerinas generell tanzen können, halte ich für sehr gewagt. Sie bringen besondere einmalige Vorraussetzungen mit, sehr gut auf Gebieten, die Sie gelernt haben und lernend bei dem was neu für Sie ist. Das ist manchmal für Tanzpartner, aber durchaus auch für Tanzlehrer irritierend.
Es geht wohl im Artikel wohl eher darum, ob äußere Schönheit auf Kosten des innigen Gefühls gehen. Ich möchte das für mich verneinen. Ich empfinde es als Bereicherung mich auch auf Bewegungsabläufe und Körperhaltungen einzulassen, die mir nicht in die Wiege gelegt sind. Ich betrete so neues Land und sammele Erfahrungen, die meinen Tanz als Ganzes bereichern. Ich schätze das sehr.
Es lebe die Vielfalt des Tangos.
Oskar
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Links:
Der Artikel “wir-brauchen-mehr-milongueras-und-weniger-ballerinas”
Wir brauchen mehr Milongueras und weniger Ballerinas